»Singen ist wie eine Superkraft«
Der 26-jährige Lennart Meyer gewinnt den diesjährigen IB.SH-JazzAward. Im Interview spricht er über seinen Einstieg in den Jazz, seine vielfältigen Musikprojekte und die Suche nach dem eigenen Ausdruck.
Lieber Lennart, im Video zu deinem Song »wannabearound« sind alte Aufnahmen von dir und deiner Familie zu sehen, die zeigen, dass Musik dich schon lange begleitet.
Ja, Musik war ein großer Teil meiner Kindheit. Ich habe ständig vor mich hingesungen oder zur Musik getanzt. Meine Eltern haben das bemerkt und mich intensiv gefördert. Ich hatte Gitarren-, Bass-, Gesangs- und Schlagzeugunterricht, habe in diversen Ensembles der Musikschule Lüneburg gespielt und durfte mich ausprobieren. Dafür bin ich wirklich dankbar.
An einer Stelle im Video, du bist vielleicht acht Jahre alt, begleitest du am E-Bass deinen großen Bruder an der Gitarre. War auch er ein prägender Einfluss für dich?
Auf jeden Fall! Den Jazz habe ich über meinen großen Bruder Jan Philipp Meyer kennengelernt, der mittlerweile Jazzschlagzeuger ist. Als Jugendliche schauten wir uns stundenlang YouTube-Videos von früheren JazzBaltica-Konzerten an, dort traten Stars wie Pat Metheny, Michael Brecker, Nils Landgren oder das Esbjörn Svensson Trio auf. Es war für uns kaum zu glauben, dass diese Konzerte quasi um die Ecke stattfanden – und eben nicht in New York oder anderswo weit weg.
Seit 2020 studierst du Jazzgesang an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und hast dort deine Acoustic Band gegründet. Was ist eure musikalische Handschrift?
Als ich die Band 2022 gründete, hatte ich Lust auf ein klassisches Jazzquartett mit Gesang, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug – ich wollte experimentieren, unter anderem mit dem spannenden Gegensatz zwischen akustischen Instrumenten und digitalen Effekten auf meiner Stimme. Mit dem Pianisten Kirill Kretsu, dem Kontrabassisten Roz MacDonald und dem Schlagzeuger Jacob Wagener habe ich Musiker gefunden, die diese Faszination teilen, es macht großen Spaß!
Die Band trägt »akustisch« schon im Namen, warum nutzt du dennoch gerne digitale Effekte für deinen Gesang?
Ein Gesangssound ändert sich ständig, abhängig vom Raum, vom Mikrofon oder von der Gesangstechnik. Ich sehe digitale Effekte somit als eine natürliche und logische Erweiterung, als einen nächsten Schritt auf der Suche nach dem eigenen Ausdruck. Ich experimentiere beispielsweise gerne mit Hall oder mit polyphonen Clustern.
Du bist Bassist und Sänger. Was macht dir mehr Freude?
Ich liebe es, Bass zu spielen. Aber es ist auch schön, sich auch einmal ganz auf das Singen konzentrieren zu dürfen und von der Band getragen zu werden. Singen ist dann wie Fliegen, wie eine Superkraft.
Man sagt ja, dass die Stimme ein Spiegel der Seele sei…
Meine Stimme ist sicher ein sehr direkter Indikator für all das, was in meinem Leben gerade passiert. Wie es mir geht, welche Musik ich viel gehört habe, welche Jahreszeit gerade ist – das alles spiegelt sich in ihr wider. Wenn ich regelmäßig laufen gehe, singe ich besser. Und wenn ich am Abend zuvor zwei Bier getrunken habe, singe ich am nächsten Tag schlechter (lacht).
Du probierst dich außerdem in der Musikproduktion aus.
Ja, das finde ich faszinierend. Für mich halten Tonaufnahmen nicht bloß ganz neutral die Realität fest, sondern können eine ganz eigene Welt schaffen. Ich tüftle gerne an Sounds und produziere passend dazu eigene Songvideos. Das alles passiert in meinem Projekt »Heartholder« – in diesem Kontext ist auch das vorhin angesprochene »wannabearound«-Video entstanden.
Und richtig international wird es in einem weiteren Projekt von dir, es heißt »Peace«.
Hier geht es um Minimalismus und Raum in der Musik. Die Sängerin Jiuning Liu, der Gitarrist Lucas Etcheverria und ich – als Bassist und gelegentlich als Sänger – spielen seit zwei Jahren zusammen. Letztes Jahr haben wir unsere erste EP aufgenommen, die bald erscheinen wird. Unsere Musik lässt sich als kammermusikalischer Jazz beschreiben, eine Unterhaltung zwischen guten Freunden mit brasilianischen und chinesischen Einflüssen.
In diesem Jahr stehst du als Preisträger des IB.SH-JazzAward zum ersten Mal auf der Bühne bei JazzBaltica. Was bedeuten dir sowohl Auszeichnung als auch der Festivalauftritt?
Dieser Preis ist eine große Bestätigung und Motivation für mich, meinen künstlerischen Weg weiterzugehen. Und natürlich freue ich mich sehr, bei JazzBaltica spielen zu dürfen – es ist eine riesige Ehre, dort zu stehen, wo so viele Weltstars aufgetreten sind. Das fühlt sich ein bisschen unwirklich an.
Hast du schon eine Idee, wofür du das Preisgeld ausgeben wirst?
Erstmal werde ich es sparen; später möchte ich damit kreative Projekte umsetzen, zum Beispiel Videodrehs oder Studioaufnahmen.
In diesem Jahr wirst du deinen Bachelor in Jazzgesang beenden: Was planst du nach dem Abschluss?
Ich habe mich für einen Jazzmaster beworben. Ansonsten plane ich gerade eine Tour mit meiner Band »Peace« und die Veröffentlichung unserer Debüt-EP.
Das Interview führte Ann-Kristin Zoike aus der Presseabteilung von JazzBaltica.